Vom symbolischen Zentrum zum verdrängten Ort der Erinnerung: Wie der Wunsch nach Stabilität Lenins Grab und die Erinnerung an 1917 ins Abseits rückt.
Das Lenin-Mausoleum
Nach Lenins Tod im Januar 1924 entschied das Politbüro der Kommunistischen Partei, den Körper langfristig zu konservieren und in einem Mausoleum auszustellen. Lenins gegenwärtige Ruhestätte wurde sechs Jahre nach seinem Tod im Jahr 1930 fertiggestellt. Sie befindet sich an der Kreml-Mauer am Roten Platz in Moskau. Zu Zeiten der Sowjetunion wurde das Mausoleum zu einem der zentralen architektonischen Symbole des Landes und zum Mittelpunkt des Lenin-Kultes.

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Am 25. Oktober (7. November) 1917 stürzten die Bolschewiki die Provisorische Regierung, die nach der Februarrevolution eingesetzt wurde. Die Machtübernahme in Petrograd erfolgte ohne viel Blutvergießen, jedoch schloss sich ihr ein mehrjähriger Bürgerkrieg mit Millionen Todesopfern an. Zahlreiche westeuropäische Staaten unterstützten den Widerstand gegen die Bolschewiki auch militärisch. So nahm die Geschichte der UdSSR ihren Anfang.

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Adrett gekleidet liegt Lenin Tag für Tag in seinem Mausoleum auf dem Roten Platz. Seit mehr als 90 Jahren wird er nun schon für die Nachwelt frisch gehalten. Wie ist das möglich? Anastasia Mamina wollte es für Bird in Flight genauer wissen.

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Befreiung vom Despoten, zarte Protestkultur und Poeten als Volkshelden: Die Zeit des Tauwetters in den Jahren nach Stalins Tod brachte eine Neudefinition des sowjetischen Lebens. Kultur und Politik erfuhren eine euphorische Phase der Liberalisierung. Doch schon mit der Entmachtung Nikita Chruschtschows setzte eine politische Restaurationsphase ein, die bis zur Perestroika andauern sollte. Heutzutage wird das Tauwetter oft nostalgisch verklärt, unter Historikern ist seine Deutung weiterhin umstritten.

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Leonid Breshnew war von 1964 bis 1982 Vorsitzender der KPdSU und prägte als erster Mann im Staat fast zwei Jahrzehnte lang das Geschehen der Sowjetunion. Seine Herrschaft wird einerseits mit einem bescheidenen gesellschaftlichen Wohlstand assoziiert, gleichzeitig jedoch auch als Ära der Stagnation bezeichnet.

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Im engeren Sinne bezeichnet Perestroika die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Umgestaltung, die auf Initiative von Michail Gorbatschow ab 1987 in der Sowjetunion durchgeführt wurde. Politische Öffnung und größere Medienfreiheit führten bald dazu, dass sich die Forderungen nach Veränderung verselbständigten – obwohl die Reformen neben viel Hoffnung auch viel Enttäuschung brachten. Die Perestroika läutete einen unaufhaltsamen Prozess des Wandels ein und mündete im Ende der Sowjetunion.

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Der Zerfallsprozess der Sowjetunion begann Mitte der 1980er Jahre und dauerte mehrere Jahre an. Die Ursachen sind umstritten. Während einige hauptsächlich Gorbatschows Reformen für den Zerfall verantwortlich machen, sehen andere die Gründe vor allem in globalen Dynamiken. Eine zentrale Rolle spielte in jedem Fall die Politik der russischen Teilrepublik.

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Am 9. Mai 1997 wird auf dem Roten Platz der Tag des Sieges gefeiert. Soldaten marschieren vor dem Lenin-Mausoleum auf, es werden patriotische Lieder gesungen, Flaggen und Fahnen getragen – alles in einer bereits kanonisierten Form von Militärparaden, die seit 1995 dazu auch alljährlich stattfinden. Nur ein Detail sticht ins Auge: Im Gegensatz zu seinen Vorgängern steht Staatschef Boris Jelzin zur Abnahme der Parade nicht auf der Tribüne des Lenin-Mausoleums, sondern davor, am Rednerpult auf einem in den Farben der russischen Trikolore und mit Blumen schlicht dekorierten Podium.

Diese Distanzierung vom Mausoleum – dem zentralen Symbol der Revolution und damit Mekka aller Sowjetbürger – findet unter Präsident Putin seine Fortsetzung. Seit 2005 wird das Mausoleum am Tag des Sieges aus dem architektonischen Ensemble des festlich dekorierten Platzes fast komplett ausgeblendet. Es wird verpackt in eine Trikolore, in Georgs-Bändchen und Schriftbanner. Das Verdecken des fast einhundert Jahre alten Bauwerks ist ein Schlüssel zum Verständnis der Revolutionserinnerung im heutigen Russland. Lenins Grabmal ist zwar physisch noch da, wird aber verhängt, verdrängt und mit anderen Texten und Geschichten überspielt.

Dem Kreml geht es dabei nicht um die Verdammung der Sowjetzeit per se, sondern um die Diskreditierung der Revolution. Stabilität und scheinbare Kontinuität – das ist die zentrale Botschaft der heutigen russischen Symbol- und Erinnerungspolitik.
Das Lenin-Mausoleum war lange Zeit das symbolische Zentrum der Sowjetunion. An den hohen sowjetischen Feiertagen, am 1. Mai, am Tag der Oktoberrevolution und ab 1965 auch am Tag des Sieges zogen riesige Menschenmengen und Militärparaden an ihm vorbei. Lenins Leichnam war symbolisches Fundament der sowjetischen Führung, die, auf der Tribüne stehend, den Massen zuwinkte. Das Mausoleum überdauerte mehrere politische Umbrüche: von der Stalinzeit über die Tauwetter- und Breshnew-Ära, die Perestroika bis hin zum Zerfall der Sowjetunion und dem Übergang von Jelzin zu Putin. Lenin ist eine der wenigen kommunistischen Figuren, deren Denkmäler in Russland bis heute mehrheitlich erhalten geblieben sind. Da es sich beim Lenin-Mausoleum jedoch nicht um ein einfaches Denkmal handelt, sondern um eine Gruft im Herzen der russischen Hauptstadt, bleibt dieser Gedächtnisort umstritten. Der liberale Teil der Gesellschaft will den Leichnam des Revolutionsführers nicht mehr als Fundament russischer Staatlichkeit betrachten. Und die Russische Orthodoxe Kirche sieht in der Tatsache, dass der getaufte Wladimir Uljanow (Lenin) nicht nach christlichem Ritual bestattet worden ist, ein Unheil für Russland.
Text: Ekaterina Makhotina, Foto: Max Sher, 5. November 2021
Entstehung: Das erste hölzerne Lenin-Mausoleum wird 1924 errichtet und am 1. März für das Publikum geöffnet
Bauwerk: 1930 erfolgt der Neubau in Granit und Marmor
Architekt: Alexej Schtschussew
Nekropole an der Kremlmauer: Das Areal rund um das Lenin-Mausoleum war bis 1991 das Hauptpantheon des Sowjetstaates. Hier wurden die führenden Regierungsvertreter und Militärbefehlshaber beigesetzt
Lenins Leichnam war symbolisches Fundament der sowjetischen Führung, die, auf der Tribüne stehend, den Massen zuwinkte.
Foto: Leader der Kommunistischen Partei der UdSSR auf dem Lenin-Mausoleum während der Parade anlässlich des 50. Jahrestag der Oktoberrevolution am 7. November 1973 / © Waleri Schustow/Sputnik
Im heutigen Russland gibt es kein homogenes „kollektives Gedächtnis“ an den Krieg, sondern mehrere mit-, neben-, und gegeneinander existierende und agierende Bilder der Kriegserinnerung. Die Verflechtung des politischen und individuellen Gedächtnisses ist das Spezifikum russischer Erinnerungskultur, zu welcher sowohl Siegesstolz als auch Trauer gehören.

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Als Farbrevolutionen bezeichnet man eine Reihe friedlicher Regimewechsel in post-sozialistischen Ländern. Diese wurden unter anderem durch gesellschaftliche Großdemonstrationen gegen Wahlfälschungen ausgelöst. Aufgrund der Farben beziehungsweise Blumen, mit denen die Bewegungen assoziiert werden, ist der Sammelbegriff Farbrevolutionen entstanden. Stellt der Begriff für die politische Elite in Russland eine Bedrohung ihrer Macht dar, verbinden oppositionelle Kräfte damit die Chance auf einen Regierungswechsel.

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Die Zahl der Russen, die den Verlust der Sowjetunion bedauern, liegt derzeit bei 66 Prozent. Das zeigen aktuelle Umfragen des Lewada-Zentrums. Offensichtlich birgt die Sowjetära mit ihren utopischen Zielsetzungen angesichts des seit Jahren stagnierenden russischen Alltags Sehnsuchtspotenzial. Spätestens seit Mitte der 2000er Jahre ist die Sowjetnostalgie außerdem Teil des patriotischen Projekts Russlands, den verlorenen imperialen Status wiederzugewinnen.

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Im Jahr 1996 lässt Boris Jelzin den 7. November, den Festtag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, als Feiertag umwidmen. Von nun an soll er Tag der Eintracht und Versöhnung heißen. Unter Putin wird der 7. November zum „Tag der Parade auf dem Roten Platz anlässlich des 24. Jahrestages der Oktoberrevolution 1941“ erklärt und seither als Tag des militärischen Ruhms gefeiert. Somit wurde der alte Feiertag aus der Revolutionserinnerung zumindest auf einer offiziellen Ebene abgelöst und in das Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg integriert.

Das Wort Revolution ist seitdem in der offiziellen Rhetorik stets negativ besetzt. Ganz gleich, ob der Pugatschow-Aufstand im 18. Jahrhundert, die Russische Revolution von 1917 oder die Farbrevolutionen des 21. Jahrhunderts – das vom Staat nicht mehr kontrollierte politische Geschehen löst im Kreml Unbehagen aus. Auch große Teile der russischen Gesellschaft sehen in Revolutionen das negative Kontrastbild zur (wieder)gewonnenen Stabilität. Stabilität ist das Stichwort, das fällt, wenn an die (späte) Sowjetzeit, an die Breshnew-Ära, die „Goldenen 1970er“, erinnert wird. Eine solche Sowjetnostalgie und die mehrheitlich negative Deutung der Oktoberrevolution schließen sich nicht gegenseitig aus.
Unterdrückte Revolutionserinnerung
Stabilität ist das Stichwort, das fällt, wenn an die (späte) Sowjetzeit, an die Breshnew-Ära, die „Goldenen 1970er“, erinnert wird
Russland ist dem Ersten Weltkrieg an der Seite der Alliierten Anfang August 1914 beigetreten. Nach anfänglichen spektakulären Erfolgen kam es zu Rückschlägen. Die Transportprobleme und schlechte Versorgung der Städte führten Anfang 1917 zu großen Demonstrationen, die in die Februarrevolution mündeten. Die Frage von Frieden und Krieg war auch nach der Abdankung Nikolaus´ II. von entscheidender Bedeutung. Erst nach der Oktoberrevolution wurde am 3. März 1918 ein separater Friedensvertrag zwischen Sowjetrussland und den Mittelmächten geschlossen. Russland musste erhebliche Verluste an Territorium, Produktionskapazitäten und Bevölkerung hinnehmen.

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Nach der Oktoberrevolution 1917 kam es zu Erhebungen unterschiedlicher antibolschewistischer Kräfte – der Weißen – gegen die neuen sowjetischen Machthaber – die Roten. Die Kämpfe wurden von beiden Seiten mit äußerster Brutalität geführt, vor allem auch gegen die Zivilbevölkerung. Dass die Weißen weder politisch noch organisatorisch eine Einheit bildeten, war letztendlich ein wesentlicher Grund für ihre Niederlage. Demgegenüber gelang den Bolschewiki der straffe Aufbau der Roten Armee, mit deren Hilfe sie auch die Niederschlagung von Konflikten erreichten, die parallel zur Auseinandersetzung mit den Weißen entstanden waren (Polnisch-Sowjetischer Krieg, Partisanenbewegungen, Abfall von Randgebieten). Der Sieg im Bürgerkrieg bedeutete die endgültige Machtkonsolidierung für die sowjetische Regierung.

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Die ersten Anzeichen einer Entstalinisierung zeigten sich bereits unmittelbar nach Stalins Tod 1953. Zentral dafür wurde jedoch erst die Geheimrede Nikita Chruschtschows, die er 1956 auf dem XX. Parteitag der KPdSU hielt. Die Phase der Sowjetgeschichte, die als Tauwetter bekannt wurde, erlaubte eine deutliche Liberalisierung des Kulturbereichs und eine Abkehr von Repression und Gewalt.


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Die Februarrevolution – ausgelöst durch eine Hungerdemonstration in Petrograd, der sich Streiks von Arbeitern und Soldaten anschlossen – beendete das zaristische Regime, das die Unterstützung der Bevölkerung bereits weitgehend verloren hatte. Mit der Revolution endete die über 300 Jahre währende Herrschaft des Hauses Romanow im Russischen Reich. Gleichzeitig läutete sie die Phase der „Doppelherrschaft“ von Provisorischer Regierung und dem Petrograder Rat (sowjet) der Arbeiter- und Soldatendelegierten ein.

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1924 gestorben liegt der Revolutionsführer Lenin nun knapp einhundert Jahre in seinem Mausoleum, die meiste Zeit allein. Für eine Weile (1953–1961) hatte sich sein Nachfolger Josef Stalin zu ihm gesellt. Doch die Zweisamkeit dauerte nicht lange. Die Welle der Entstalinisierung unter Nikita Chruschtschow erfasste nicht nur Stalin-Denkmäler sondern auch seinen Leichnam: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion entfernte eine Geheimdienstgarde Stalin aus dem Mausoleum und überführte ihn in seine zweite Ruhestätte, ein nahe gelegenes Grab an der Kremlmauer.
Lenin im Schatten Stalins
Wie aber wird die Revolution von 1917 heute vermittelt? Eine Kommission, die sich zum Beispiel mit der Ausarbeitung des einheitlichen Schulbuchs befasste, fand einen Kompromiss zwischen den gegensätzlichen Bezeichnungen „Großer Oktober“ und „Staatsstreich der Bolschewiki“: Nun heißt der Umbruch: „Große Russländische Revolution“. Mit diesem Begriff werden die Februarrevolution mit der Abdankung des Zaren, die Oktoberrevolution und die Zeit dazwischen zusammengefasst. Das Kapitel, das die Jahre 1914 bis 1922 behandelt, heißt „Große Erschütterungen“. Die Revolution von 1917 wird gleichsam von den beiden Kriegen, dem Ersten Weltkrieg und dem russischen Bürgerkrieg, umrahmt, was ihren tragischen Charakter unterstreicht.
Im Schatten des Lenin-Mausoleums wirkt Stalin deutlich wichtiger für die russische Gesellschaft als Lenin. Er wird als Symbolfigur für einen stabilen, starken und paternalistischen Staat betrachtet und steht für den Aufstieg des Landes zur Großmacht.
Foto: Niederlegen der Blumen zum Stalins Grab 2019 / © Ilja Pitalew/Sputnik
Novoe literaturnoe obozrenie: Muzej SSSR v Ul’janovske: Opyt mifologičeskogo proektirovanija
„Sie wollen große Erschütterungen – wir wollen ein großes Russland“, dieses berühmte Zitat stammt von Pjotr Stolypin, dem konservativen Ministerpräsidenten des späten Zarenreiches, zu dessen Ehren Putin ein Denkmal in Moskau initiiert und eröffnet hat. Mit dieser Gegenüberstellung wird in Russland seit den 2000er Jahren die Angst vor der Revolution und der „Elementargewalt“ des russischen Volkes wiedererweckt. „Sein Limit an Revolutionen hat Russland im 20. Jahrhundert ausgeschöpft“, diesen Satz hört man häufig von russischen Politikern, zuletzt von Wladimir Putin im Oktober 2021.
Staatlich Verordnete Versöhnung
Im Schatten des Lenin-Mausoleums wirkt Stalin jedoch deutlich wichtiger für die russische Gesellschaft heute. Die Ideologie des Leninismus ist im heutigen Russland so gut wie tot, als intellektueller Fixstern hat Lenin ausgedient. Stalin jedoch wird in nationalistisch-patriotischen Kreisen nach wie vor als Symbolfigur für einen stabilen, starken und paternalistischen Staat betrachtet. Stalin gilt als „Vater des Vaterlandes“ – Lenin dagegen als „Vater der Revolution“. Während Lenin für radikale Umbrüche steht, verbindet man mit Stalin den Aufstieg des Landes zur Großmacht, den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg und (vermeintliche) Stabilität.
„Sein Limit an Revolutionen hat Russland im 20. Jahrhundert ausgeschöpft“
Bei der Bewertung von Kommunismus und Stalinismus will sich die politische Elite weder auf eine national-patriotische noch auf eine liberale Position festlegen, sondern laviert zwischen diesen Diskursen.

Das Manövrieren zwischen verschiedenen Positionen spiegelt sich in Denkmälern und Museen, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Im heutigen Russland gibt es ein schillerndes Nebeneinander von Museen des Gulags und Museen des sozialistischen Alltags; von Stalin-Denkmälern und Mahnmalen für die Opfer stalinscher Repressionen. Der Kreml selbst initiierte einerseits die Errichtung des Mahnmals für die Opfer des Stalinismus – der Wand der Trauer – in Moskau, und unterstützt die Entstehung des UdSSR-Museums das zum 100-jährigen Gründungsjubiläum der Sowjetunion 2022 in Lenins Geburtsstadt Uljanowsk eröffnet werden soll.

Wenn auch das Uljanowsker UdSSR-Museum eher handfesten kommerziellen Interessen dient, ist sein Motto bezeichnend – „die Versöhnung verschiedener Kräfte und Epochen“ des Landes. Gemeint ist die Versöhnung zwischen Kommunisten und ihren Gegnern, ähnlich der Versöhnung zwischen den Nachfahren der „Roten“ und der „Weißen“, die sich gegenseitig im Bürgerkrieg von 1919 bis 1922 bekämpften. Mit dieser Botschaft will die aktuelle Geschichtspolitik bei einem möglichst breiten Spektrum der Bevölkerung anschlussfähig wirken, sowohl bei den Sowjetnostalgikern als auch bei den Sowjetkritikern.
Das Gebäude mit dem Leichnam Lenins ist zwar immer noch da, aber symbolisch nicht mehr wirkmächtig.
Foto © Oleg Lastotschkin/Sputnik
Dem russischen Staatschef geht es bei der Verteidigung der sowjetischen Epoche nicht um den Kommunismus als sozio-ökonomisches Modell, sondern um das historische Erbe und einen wichtigen Teil der Geschichte russischer Staatlichkeit. Ihm geht es um die Geschichte der UdSSR als Geschichte einer Großmacht, die bei der älteren Generation noch Teil der eigenen biografischen Erinnerung ist. Diese Haltung illustriert Putin deutlich mit dieser Aussage: „Jene, die der Sowjetunion nicht nachtrauern, haben kein Herz; jene, die die Sowjetunion zurück wollen, haben keinen Verstand.“

Die Antworten Putins auf die häufigen Fragen nach der Bestattung Lenins spiegeln diese lavierende Einstellung wider: es dürfe kein Schritt unternommen werden, der die russische Gesellschaft spalten würde. Das entspricht auch dem Umgang mit dem Lenin-Mausoleum: Das Gebäude mit dem Leichnam Lenins ist zwar immer noch da, aber symbolisch nicht mehr wirkmächtig.
Ekaterina Makhotina
Ekaterina Makhotina ist promovierte Osteuropahistorikerin. Sie forscht an der Universität Bonn unter anderem zu Erinnerung und Geschichtspolitik in Russland und im östlichen Europa.

Foto: privat